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Verantwortungsgemeinschaft: Kommt jetzt die Poly-Ehe durch die Hintertür?

Aktualisiert: 8. Juni

Eine „Ehe light“ soll sie nicht werden, aber manche fürchten die Einführung einer Vielehe, wenn die Pläne der Ampelregierung umgesetzt werden. Was also bringt das neue Rechtsinstitut Menschen in alternativen Beziehungsmodellen?

 

Die Idee der Verantwortungsgemeinschaft wurde bereits im Jahr 2020 von der FDP-Fraktion im Bundestag eingebracht (Drucksache 19/16454). Das Ziel: neben der Ehe und Verwandtschaftsverhältnissen soll das Gesetz weitere Modelle zur Verfügung stellen, Verantwortung füreinander zu übernehmen. Der in Artikel 6 des Grundgesetzes verankerte, besondere Schutz der Ehe bleibt zwar unberührt, aber was eine Familie ist – oder zumindest teilweise so behandelt werden soll wie eine Familie – das wird neu definiert. Es geht also um etwas Großes: Der Staat schafft ein Rechtsinstitut für Wahlverwandtschaften und persönliche Nähebeziehungen.

 

Steigen wir mal ein mit einem Auszug aus der genannten, sehr lesenswerten Bundestags-Drucksache 19/16454:


„Die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft. Gleichwohl haben sich traditionelle Formen und Vorstellungen von Familie, Partnerschaft und Ehe in den vergangenen Jahrzehnten stark gewandelt und verändern sich stetig weiter. Die Vielfalt der Lebensformen und Lebensentwürfe nimmt seit Jahrzehnten zu. Neue persönliche Lebensentwürfe und unterschiedliche Familienformen werden nicht nur gelebt, sondern sind auch gesellschaftlich akzeptiert.“

 

Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) wird in diesem Text als eine Art Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) des Ehe- und Familienrechts bezeichnet - die kurz gesagt veraltet ist und den gesellschaftlichen Entwicklungen hinterherhinkt (wie das häufig so ist, mit dem Recht). Die Ehe (vor allem das Ehegattensplitting) soll bleiben und es soll keine „Ehe light“ geschaffen werden (wie etwa in Frankreich das Modell der Pacte de solidarité - PACS), aber neue Lebenskonzepte sollen auch ihre kleinen AGB bekommen. Denn auch heute schon kann man vieles vertraglich regeln, aber die Menschen sollen eine Grundlage haben, auf der sie starten können, damit vieles im Alltag einfacher wird.

 

Im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode hatten die Regierungsparteien in den Zeilen 3386 ff. Folgendes vereinbart (neben weiteren grundlegenden familienrechtlichen Reformen):

 

„Wir werden das Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen und damit jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe zwei oder mehr volljährigen Personen ermöglichen, rechtlich füreinander Verantwortung zu übernehmen.“

 

Das Bundesministerium der Justiz hat nun einen Vorschlag zur Umsetzung dieser Vereinbarung vorgelegt – erstmal nur als Eckpunktepapier, also noch keinen konkreten Gesetzestext. Zielgruppe sind insbesondere Menschen, die im Alter füreinander da sein wollen (Stichwort: Senioren-WG) oder auch Alleinerziehende, die sich gegenseitig unterstützen möchten. Das Rechtsinstitut sieht daher die folgenden, auf diese Zielgruppen abgestimmten Regelungen vor:

 

Grundstufe:

Anwendung der Vorschriften, die an das Bestehen einer persönlichen Nähebeziehung anknüpfen.

Beispiele: Betreuung, Organspende

 

Aufbaustufe:

Folgende Module können zusätzlich gewählt und auch miteinander kombiniert werden:


  • Modul „Auskunft und Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten“

  • Modul „Zusammenleben“

  • Modul „Pflege und Fürsorge“

  • Modul „Zugewinngemeinschaft“ (maximal für 2 Personen, die nicht verheiratet sind).

 

Die Regelungen sind am Eherecht angelehnt, Steuererleichterungen sind aber nicht vorgesehen. Die Verantwortungsgemeinschaft soll auch keine Rechtsfolgen nach sich ziehen im Verhältnis der Partner zu Kindern (zum Beispiel Abstammung, Adoption, Sorgerecht), im Namensrecht und im Erbrecht. Auch ein Recht auf eine Aufenthaltsberechtigung oder eine Arbeitserlaubnis soll sie nicht begründen.

 

Steht die Verantwortungsgemeinschaft auch Menschen offen, die in polyamoren Beziehungen leben?

 

Eine Verantwortungsgemeinschaft kann mit bis zu sechs Personen vor einem Notar begründet werden.

 

Wichtig ist dabei:

  • Alle müssen volljährig und geschäftsfähig sein.

  • Eine Person soll nicht gleichzeitig Vertragspartner mehrerer Verträge über eine Verantwortungsgemeinschaft sein können.

  • Personen, die miteinander verheiratet sind, sollen nicht ausschließlich miteinander einen Vertrag über eine Verantwortungsgemeinschaft abschließen können. Sie sollen aber einzeln oder zusammen Vertragspartner einer Verantwortungsgemeinschaft mit weiteren Personen sein können. Das Verhältnis der Ehegatten untereinander soll von den Rechtswirkungen des Vertragsüber die Verantwortungsgemeinschaft unberührt bleiben.

  • Voraussetzung ist ein persönliches Näheverhältnis, das aber nicht staatlich kontrolliert wird. Zusammenleben ist keine Voraussetzung.

  • Es darf kein Verstoß gegen §§ 134, 138 BGB vorliegen, d.h. es dürfen keine gesetzes- oder sittenwidrige Zwecke verfolgt werden.

 

Es ist also möglich, dass Menschen, die in einem polyamoren oder sonstigen alternativen Beziehungsmodell leben, eine Verantwortungsgemeinschaft eingehen. Eine Vielehe wäre in Deutschland zwar gesetzes- und sittenwidrig. Da das Rechtsinstitut allerdings gerade keine rechtliche Gleichstellung mit der Ehe vorsieht, werden wohl auch Menschen in polyamoren Beziehungen eine Verantwortungsgemeinschaft eingehen können, wenn sie füreinander die Verantwortung übernehmen möchten, die das Gesetz vorsieht. Das passiert auch gar nicht vor dem Standesamt, sondern ganz nüchtern vorm Notar.

 

… und was bringt das?

 

Erst einmal finde ich wichtig, anzuerkennen, dass die Bundesregierung mit der Verantwortungsgemeinschaft die Lebensrealität vieler Menschen sieht und etwas für sie tun will. Schon die Schaffung einer neuen Option, auf Basis eines staatlichen Rahmens verbindlich füreinander da zu sein, ist ein wichtiges Zeichen in einer Zeit, in der so viele vereinsamen und einfach keine traditionelle Familie (mehr) haben - und der Staat selbst ja immer weniger leisten kann. Damit könnte der Grundstein gelegt werden für neue Formen von Gemeinschaften, die wieder mehr Stabilität in eine Gesellschaft bringen, die schon lange andere Lebensformen gefunden hat.


Verantwortungsgemeinschaften passen auch in die Zeit, da sie jederzeit und einfacher als Ehen wieder gelöst werden können. Sie sind daher unserem heutigen flexiblen Lebenswandel angepasst und können die Phasen im Leben überbrücken, in denen Unterstützung gebraucht wird. Auch Menschen, die nicht an „happily ever after“ und „bis dass der Tod uns scheidet“ glauben oder sich einfach nicht so umfassend binden möchten, haben also künftig eine andere Option als zu heiraten.

 

Was man aber auch sagen muss: Es hätte noch besser kommen können.

 

Insbesondere mangels steuerlicher Erleichterungen bleibt das Konzept hinter den ursprünglichen Ideen zurück. Ohne damit eine Gleichstellung mit der Ehe zu riskieren, könnte der Gesetzgeber zumindest für das Modul „Zugewinngemeinschaft“ in gewissem Rahmen Freibeträge für die Schenkungsteuer vorsehen. Sonst gibt es im Zweifel rechtlich attraktivere Möglichkeiten, die finanziellen Folgen einer Verantwortungsgemeinschaft zu regeln. In dem Beispiel, das die Bundesregierung selbst anführt, sorgt eine Freundin für das Kind einer alleinerziehenden Gründerin, die dann nach ein paar Jahren eine neue Partnerschaft eingeht. Der „Zugewinn“ der erfolgreichen Gründung wird zwar gerechterweise aufgeteilt, ist aber voll schenkungsteuerpflichtig. Ein Gehalt für die Betreuungsdienste wäre dagegen steuerlich begünstigt (haushaltsnahe Dienstleistung).

 

Mein Fazit:

 

Die Verantwortungsgemeinschaft macht eine Tür auf, und auch Menschen in alternativen Beziehungsmodellen dürfen sich freuen. Familie wird heute bereits anders gelebt und das wird nun auch staatlich anerkannt. Es bleibt aber immer im Einzelfall zu schauen, welche Regelungen die Situation wirklich erfordert. Vertragliche Vereinbarungen bleiben daneben möglich und können ausgehandelt werden. Im Gegenzug für die private Verantwortungsübernahme hätte der Staat aber bei den Steuererleichterungen durchaus großzügiger sein können. Das lässt der Haushalt aktuell vermutlich aktuell nicht zu. Als Optimistin denke ich mir: vielleicht wird da irgendwann noch nachgebessert.

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